Über den Trauerfall (18)
Hier finden Sie ganz besondere Erinnerungen an Hans-Jochen Vogel, wie z.B. Bilder von schönen Momenten, die Trauerrede oder die Lebensgeschichte.
Hans-Jochen Vogel
27.07.2020 um 08:57 Uhr von RedaktionHans-Jochen Vogel (* 3. Februar 1926 in Göttingen; † 26. Juli 2020 in München) war ein deutscher Politiker (SPD).
Vogel war von 1960 bis 1972 Oberbürgermeister von München, von 1972 bis 1974 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, danach bis 1981 Bundesminister der Justiz und im Jahr 1981 Regierender Bürgermeister von Berlin.
Nach dem Ende der Kanzlerschaft Helmut Schmidts war er Kanzlerkandidat der SPD bei der Bundestagswahl 1983, scheiterte jedoch gegen die neu formierte Koalition aus CDU/CSU und FDP. Von 1987 bis 1991 war er als Nachfolger Willy Brandts Parteivorsitzender der SPD und von 1983 bis 1991 in der Nachfolge Herbert Wehners Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.
Werdegang
27.07.2020 um 08:56 Uhr von RedaktionHans-Jochen Vogel war der Sohn von Hermann Vogel und dessen Frau Caroline, geb. Brinz. Sein Großvater war der Tiermediziner Leonhard Vogel (1863–1942). Hermann Vogel war zunächst Diplom-Landwirt, habilitierte sich an der Universität Göttingen und wurde im Wintersemester 1934/35 Ordinarius für Tierzucht und Milchwirtschaft an der Universität Gießen. Sohn Hans-Jochen besuchte das Max-Planck-Gymnasium in Göttingen und ab 1935 in Gießen das Landgraf-Ludwig-Gymnasium, wo er 1943 Abitur machte. Zu seiner Gymnasialzeit in Gießen gehörte er der Hitlerjugend an, zuletzt mit dem Dienstgrad eines Scharführers. Im Sommersemester 1943 begann er ein Studium der Rechtswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und meldete sich dann im Juli 1943 freiwillig zur Wehrmacht[3], um dem intensiven Werben der Waffen-SS zu entgehen. Nach zweimaliger Verwundung an der italienischen Front war Vogel zu Ende des Zweiten Weltkriegs Unteroffizier.
Ab 1946 setzte er das Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Marburg fort, das er 1948 mit dem ersten Staatsexamen und der Note „gut“ beendete. 1950 folgte seine Magna-cum-laude-Promotion zum Dr. jur. mit der Arbeit „Der Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung in § 113 StGB und die Zuständigkeit der Behörde in § 156 StGB“. 1951 absolvierte Vogel das zweite juristische Staatsexamen, das er mit der Note „sehr gut“ bestand. 1952 trat er als Assessor in das Bayerische Staatsministerium der Justiz ein; später wurde er zum Regierungsrat ernannt. 1954 erfolgte seine Ernennung zum Amtsgerichtsrat in Traunstein, 1955 wurde er in die Bayerische Staatskanzlei abgeordnet.
Politische Laufbahn
27.07.2020 um 08:55 Uhr von RedaktionMit der Vielzahl der von ihm bekleideten politischen Spitzenämter nahm Hans-Jochen Vogel als deutscher Sozialdemokrat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Sonderstellung ein. Über Regierungsfunktionen in zwei Ländermetropolen und zwei Bundesministerien hinaus führte Vogel die SPD zeitweise als Kanzlerkandidat, als Bundestagsfraktionsvorsitzender und als Parteivorsitzender. Allein für die 12 Jahre als Münchner Oberbürgermeister (OB) taxierte Vogel die von ihm bestrittenen Wahlveranstaltungen der SPD auf 500 und die gehaltenen Reden auf etwa 1.000.
Anfänge und Aufstieg in der SPD
In die SPD trat Hans-Jochen Vogel 1950 ein. Seine aktive politische Karriere begann 1958 mit der Wahl zum Stadtrat als Leiter des Rechtsreferats der Landeshauptstadt München. Bei der Wahl von 1972 wurde Vogel erstmals über die Landesliste Bayern in den Bundestag gewählt, dann 1976 und 1980 direkt im Wahlkreis München Nord. Seit 1970 war er Mitglied im SPD-Bundesvorstand, von 1972 bis 1977 Landesvorsitzender der SPD Bayern und von 1972 bis 1991 Mitglied des SPD-Präsidiums. Vogel kandidierte auf verschiedenen Ebenen als Spitzenkandidat seiner Partei. Bei der Landtagswahl in Bayern 1974 forderte er erfolglos den Ministerpräsidenten Alfons Goppel (CSU) heraus.
Oberbürgermeister von München
27.07.2020 um 08:54 Uhr von Redaktion.Am 27. März 1960 wurde Hans-Jochen Vogel mit gerade 34 Jahren als Nachfolger des Sozialdemokraten Thomas Wimmer zum OB von München gewählt. Binnen weniger Wochen nach seiner Wahl reorganisierte er die Leitung der Rathausgeschäfte und unterstellte dabei unter anderem das Stadtplanungsamt unmittelbar der eigenen Zuständigkeit. Den im Juli 1963 beschlossenen Stadtentwicklungsplan, der die städtebauliche und verkehrsmäßige Ordnung Münchens für die kommenden 30 Jahre anvisierte, unterfütterte Vogel innerhalb von vier Jahren durch eine annähernde Verdreifachung des damit befassten Personals auf 120 Mitarbeiter. Wichtige Errungenschaften dieser beispielgebenden Neuerung waren für Vogel unter anderem eine für Alternativen offene Langzeit-Entwicklungsprognose für München, die Anstoßfunktion für regionale Entwicklungsplanung sowie die Schaffung eines ausgedehnten Fußgängerbereichs im Münchner Zentrum; auch die Planung eines leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehrs durch die Schaffung eines S- und U-Bahn-Netzes geht auf den Stadtentwicklungsplan zurück.
Von 1964 bis 1972 war Vogel Präsident des Bayerischen Städtetags und 1971 Präsident des Deutschen Städtetags. Gegen Ende von Vogels erster Amtszeit als Münchner OB fiel die Entscheidung für die Bewerbung der Stadt um die Olympischen Sommerspiele 1972, nachdem Willi Daume als Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland (NOK) Vogel diesen Vorschlag unterbreitet und dieser zunächst bei Ministerpräsident Goppel die Zusage zu einer angemessenen Beteiligung an der Finanzierung erhalten und schließlich im November 1966 zusammen mit Daume bei Bundeskanzler Ludwig Erhard Finanzierungszusagen des Bundes eingeholt hatte. Bei der Wiederwahl zum Münchner OB im März 1966 entfielen auf Vogel 78 Prozent der Stimmen. Während der entscheidenden Tagung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Rom 1966 warben Daume und Vogel gegen die Konkurrenz von Detroit, Madrid und Toronto erfolgreich für München als Austragungsort der Sommerspiele 1972. Von 1966 bis 1972 war Vogel Vizepräsident der Olympia-Baugesellschaft und im selben Zeitraum Vizepräsident des Organisationskomitees für die Olympischen Sommerspiele 1972.
Parallel zur Olympiaplanung und -finanzierung beschäftigten den Münchner OB Vogel in seiner zweiten Amtszeit auch die lokalen Proteste und Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, gegen die Erschießung Benno Ohnesorgs bei der Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin, gegen Deutsche Notstandsgesetze und das Attentat auf Rudi Dutschke, den prominentesten Kopf der Studentenbewegung. Am Übergang zu den 1970er-Jahren nahmen auch in der Münchner SPD jene systemkritischen Kräfte an Gewicht zu, denen die Reformperspektiven des Godesberger Programms der SPD von 1959 nicht genügten. In der Auseinandersetzung mit diesen innerparteilichen Tendenzen war auch der Münchner OB Vogel Anfeindungen ausgesetzt, die ihm die Kandidatur für eine weitere Amtszeit von 1972 bis 1978 verleideten. Vogel warf den Jusos dabei vor, eine „Re-Ideologisierung der Partei im marxistisch-leninistischen Stil“ anzustreben und die Sprache „kommunistischer Agitatoren“ zu sprechen. Vogel selbst hielt die weitere Amtsausübung als Münchner OB auch für unvereinbar mit der ihm angetragenen Funktion des Landesvorsitzenden der bayerischen SPD. Als die Olympischen Spiele im August und September 1972 stattfanden, war nicht mehr Vogel Oberbürgermeister, sondern Georg Kronawitter; Hans-Jochen Vogel verfolgte die Spiele als Zuschauer und Vizepräsident des Organisationskomitees
Bundesminister in den Kabinetten Brandt und Schmidt
27.07.2020 um 08:52 Uhr von RedaktionAngesichts der Münchner SPD-Querelen erwog Vogel zeitweise den gänzlichen Ausstieg aus der Politik, ließ sich aber von Willy Brandt überzeugen, neue Aufgaben in der SPD zu übernehmen: Am 6. Mai 1972 wurde er zum bayerischen Landesvorsitzenden der SPD gewählt; bald danach rückte er anstelle von Karl Schiller in das SPD-Präsidium auf. Nach der für die SPD sehr erfolgreichen Bundestagswahl 1972 wurde Vogel am 15. Dezember 1972 als Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau in das zweite Kabinett Brandt berufen. Die Bilanz der anderthalb Jahre, die Vogel dieses Ressort leitete, fällt für ihn selbst zwiespältig aus: Die seinerzeitige Wohnungsbauförderung könne sich mit ihren Ergebnissen durchaus sehen lassen; und auch die vor allem für die Wiederherstellung und Erhaltung von Innenstadtbereichen verwandten Mittel des Städtebauförderungsgesetzes seien erfolgreich eingesetzt worden. Eine auf Eindämmung der Bodenspekulation gerichtete Bodenrechtsreform sei dagegen im Wesentlichen und anhaltend gescheitert.
Nach dem Rücktritt Willy Brandts und der Wahl Helmut Schmidts zum Bundeskanzler übernahm Hans-Jochen Vogel am 16. Mai 1974 das Amt des Bundesjustizministers. Zwei „heiße Eisen“ bestimmten zu dieser Zeit die Reformagenda im Bereich des Rechts: die Abtreibungsfrage und das Ehescheidungswesen. Die von der sozialliberalen Koalition für Schwangerschaftsabbrüche vorgesehene Fristenregelung scheiterte an einer von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und mehreren unionsgeführten Ländern erhobenen Verfassungsklage, der das Bundesverfassungsgericht mit der Konsequenz folgte, dass bis auf Weiteres ein Indikationenmodell gelten sollte, das neben der medizinischen und ethischen auch eine soziale Indikation für ansonsten strafbewehrte Schwangerschaftsabbrüche enthielt. Bei der Reform des Scheidungsrechts trat an die Stelle des Leitbilds der Hausfrauenehe das der partnerschaftlichen Ehe sowie das Zerrüttungsprinzip, dem gemäß auf individuelle Schuldfeststellung verzichtet werden konnte. Der damit einhergehende Anspruch auf Versorgungsausgleich für geschiedene Frauen trug dem für die Reform zuständigen Bundesminister Vogel, wie er rückblickend schreibt, sehr unterschiedliche geschlechtsspezifische Reaktionen ein: Auch üblicherweise auf dem reformerisch-progressiven Flügel anzutreffende männliche SPD-Genossen reagierten aufgebracht, wenn sie selbst von Scheidung betroffen waren.
Eine besondere Herausforderung gerade für den Bundesjustizminister stellte der gegen die staatliche Ordnung und ihre Repräsentanten gerichtete Terror der Rote Armee Fraktion (RAF) dar, der 1976 dazu führte, dass ein neuer Tatbestand der Bildung terroristischer Vereinigungen per Gesetz eingeführt und dafür eine primäre Verfolgungszuständigkeit durch den Generalbundesanwalt geschaffen wurde. Eine besondere Belastungsprobe stellte für Vogel die nach der Ermordung von drei begleitenden Polizeibeamten und des Chauffeurs über sechs Wochen sich hinziehende Entführung von Hanns Martin Schleyer dar, des Arbeitgeberpräsidenten, mit der RAF-Gefangene freigepresst werden sollten. Vogel vertrat in dem unter Vorsitz von Bundeskanzler Helmut Schmidt öfters tagenden Krisengremium hochrangiger Politiker den schon länger eingenommenen Standpunkt, dass der Staat den RAF-Forderungen nicht nachgeben könne, auch um den Terroristen nicht Anreize zu immer neuen derartigen Aktionen zu geben und damit weitere Opfer in der Zukunft zu provozieren. Für den dann durch die Terroristen herbeigeführten Tod Schleyers sieht sich Vogel als Mitverursacher, „auch wenn ich glaubte und heute noch glaube, mir keinen Schuldvorwurf machen zu müssen“. Auch Vogel selbst gehörte zu dieser Zeit zu den vorrangig vom RAF-Terror Bedrohten und stand 17 Jahre rund um die Uhr unter Bewachung von Sicherheitskräften.